Tod eines Bioladens

Ich gebe zu, es war ein Missverständnis: Elke Pistor fragte nach Tod im Bioladen, bloß ich verstand Tod eines Bioladens. Und dann weigerte sich dieser verdammte Kurzkrimi, einfach eine kriminelle Kurzgeschichte zu werden – nein, er musste unbedingt ein Dramolett werden. Wie, das können Sie sich nicht vorstellen? Lesen Sie selbst:

Bioboomm!!!
Ein kriminelles Dramolett
von
Mischa Bach

Staub, Rauch und Ruß vernebeln die Straßenkreuzung, an der zwei schräg gegenüberliegende Häuser brennen. Auf Fahrbahn und Gehsteigen liegen Tische und Bänke, Sonnenschirme und andere Überreste eines jäh unterbrochenen Straßenfestes. Lösch- und Rettungsarbeiten sind im Gange. Einzelne Menschen irren umher. Ein Mann Anfang 30 hebt erst ein Bruchstück, dann ein zweites eines Ladenschildes, nein zweier verschiedener auf: – Satonskis Ref steht auf dem einen, Krüger’s Bi auf dem anderen. In dem Moment treten zwei Feuerwehrleute mit einer Bahre aus dem Laden rechts. Sie schauen zu dem Mann, der die Schilder fallen lässt und zu ihnen kommt. Vorsichtig hebt er das Leintuch an, das eine tote Frau um die 50 verhüllt. Er nickt und legt das Tuch vorsichtig zurück. Die Feuerwehrleute bringen die Bahre fort. Der Mann tritt nach vorn an die Rampe.

[Der Mann]: Von wegen, Blut ist dicker als Wasser, im Alter wird man weise und gemeinsamer Feind eint! Wäre etwas an diesen Sprichwörtern dran, hätte diese Geschichte nie passieren dürfen. Schließlich – was könnte schlimmer sein, was hätte zwei Familien, die zugleich Nachbarn waren, stärker vereinen müssen als der gleichzeitige, tragische Verlust beider Väter und zweier Kinder, des einen Sohn, des anderen Tochter, die beide gerade die Schwelle des Erwachsenseins erreicht hatten? Doch als nach der Bombennacht im Mai 1943 das Haus auf der einen Seite der Kreuzung in Schutt und Asche lag, das auf der anderen schwer beschädigt war, waren aus Nachbarn mit gewissen, ideologischen Differenzen Feinde geworden. Bis ins dritte und vierte Glied, über Jahrzehnte hinweg, bis ins neue Jahrtausend reicht diese Saat. Nur deshalb rieselt heute Staub auf verstörte Menschen nieder, die nichts wollten, als sich beim Straßenfest hüben an Biofrüchten und -torten zu laben, sich mit Biokaffee und -bier zu erfrischen – und drüben Kartoffelpresssaft und Artischockentrunk, Huflattichtee und Bircher Müsli, und was ein Reformhaus sonst noch im Angebot hat, zu probieren. Statt dessen tappen sie nun orientierungslos an umgestürzten Straßenständen vorbei und versuchen, nicht in Getränkelachen auszurutschen (wo sich unkontrolliert biologisch Erzeugtes mit Reformware mischt), nicht in Geschirrscherben zu treten oder der Feuerwehr in den Weg zu geraten, die alles aufbringt, wenigstens die Brände zu löschen, bevor sie die anderen Nachbarn, die so gar nichts mit dieser Tragödie zu tun haben, in Mitleidenschaft ziehen können. – Hey, Sie da!

Er wendet sich einer Frau zu, die drauf und dran ist, in das linke der beiden brennenden Häuser zu laufen. Er fasst ihren Arm und zieht sie zur Seite, als mit lautem Krachen und leisem Türglockenklingeln die Ladentür auf die Straße fliegt. Eine Flamme wie eine gigantische Zunge leckt aus der Türöffnung, aus der nun dicke Rauchschwaden quellen.

[Frau – deutet hilflos auf den Laden] Aber – die Chefin …!!!

Sie sackt in sich zusammen; der Mann fängt sie auf, trägt sie fort, weder auf die herbeieilenden Feuerwehrleute, die sich wie aufs Stichwort in die Rauschwaden stürzen, noch auf die schrille Gouvernanten- bzw. Reformtantenstimme achtend, die mit dem Rauch aus der Türöffnung zu quellen scheint.

[Reformtantenstimme] Leidenschaft – ganz genau um Leidenschaft ging es damals. Jedenfalls auf dieser Seite der Straße, denn ohne Überzeugung machte niemand in den 20er Jahren ein Reformhaus auf. Das war damals Avantgarde. Zurück zur Natur, weg mit dem Korsett, her mit Sonne, Luft und Licht. Hier fing alles an, die ökologische Bewegung, die Hinwendung zur Naturheilkunde, zur Nachhaltigkeit und zum Vegetarismus. Gut – in den 1930ern und 40ern führte das zu unschönen Vereinnahmungen und, an mancher Stelle, auch zu unheiligen Allianzen. Aber es gab trotz allem aufrechte Menschen, denen die Lebensreform wichtiger war als der Herr mit Schnurrbart und Seitenscheitel. Was konnten wir dafür, dass auch der kein Fleisch aß …? In diesem Reformhaus sah man jedenfalls nie Braunhemden. Was man von Krüger’s Kneipe, die damals im Haus gegenüber war, so eindeutig nicht sagen konnte. Und Tabak, Alkohol und Fleisch gab es dort in rauen Mengen. Widerlich, wie man sich selbst verunreinigte, schädigte …!
Dennoch war Hubert Satonski, stolzer Gründer und Namensgeber dieses unseres Reformhauses, sich nicht zu fein, in jener Nacht die Straße zu überqueren und bei seinem Nachbarn anzuklopfen.

In diesem Moment zerreißt es auf der rechten Seite das große Schaufenster. Die Stichflammen werden vom Löschwasser in hellen Rauch und dichten Wasserdampf verwandelt. Aus dem Zischen und Fauchen löst sich ein Husten, dann eine Stimme, die wie die eines dauerbekifften Althippies klingt.

[Althippie, hustend] Ja und was hatte er hier drüben zu suchen?

[…]

Berechtigte Frage. Die Antwort finden Sie mit dem Rest vom Text in

Tod und Tofu

Asche zu Asche, Kompost zu Kompost.
Natürlich, ökologisch, tödlich!

(Hg.) Elke Pistor
ISBN: 978-3-95441-184-9 | 300 Seiten
9,90 Euro (inkl. MwSt.)

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