Normalerweise interessiert mich das Erscheinungsjahr eines Buches so gut wie gar nicht; sollte ich es dennoch einmal mitbekommen haben, vergesse ich es schneller als alles andere. Um so überraschender das Ergebnis meiner nichtrepräsentativen Zeitreise durchs Bücherregal – mir war z.B. weder klar, dass ich doch einiges an Literatur des 19. Jahrhunderts besitze (und nicht nur des 18.), noch fußt es auf einer bewussten Entscheidung, dass eine ganze Reihe Titel aus den 1920ern stammen. Gesucht hatte ich allerdings nach Büchern und Texten aus den Jahren 1914 bis 1918 …
… und plötzlich begreife ich, nicht nur James Joyce und Virginia Woolf waren Zeitgenossen, kurz zuvor erschienen Franz Kafkas, aber auch Heinrich Manns Werke sowie André Gides Die Verliese des Vatikan. Auch habe ich noch nie einen Gedanken daran verschwendet, dass Bernard Shaw zeitgleich mit D.H. Lawrence veröffentlichte und selbst Ibsen, Strindberg sowie Schnitzler ebenfalls um diese Jahrhundertwende arbeiteten. Matisse‘ Bilder waren en vogue oder mehr noch: Avantgarde, Klimt und Schiele schufen nie zuvor Gesehenes. Und obendrein, mittendrin ein Getriebener wie Friedrich Glauser …
So viele Leben. So viele Ideen. So viele Werke.
Und mittendrin der erste Weltkrieg, wenn er denn nicht das Ende darstellte, das Ende herbeizwang für den einen oder anderen, für viel zu viele.
Ich kann mich nach wie vor nicht entscheiden, ob ich all das nun als fern oder nah empfinden soll. Macht ein Geburtsdatum ein paar Jahre früher oder später wirklich so einen Unterschied? Virginia Woolf scheint sehr viel näher, moderner als etwa Kafka oder auch Heinrich Mann oder gar Arthur Schnitzler.
Und Shaw … war er nicht schon immer da, schon immer schlagfertig, gewitzt, manchmal weise, manchmal überspitzt? Ich wünschte, ich hätte die Zeit, nur all die Bücher aus dieser Zeit, die ich in meinen Bücherregalen fand, und das, was sich auf Projekt Gutenberg dazu findet (vieles, vieles, was ein sicheres Zeichen ist, es ist viel Wasser den Rhein, die Seine, die Themse, die Donau und all die anderen Flüsse Europas hinuntergeflossen, seit diese Menschen schrieben und veröffentlichten) zu lesen.
Immerhin, für Heartbreak House reichte die Zeit. Und wer eine kurze Einführung ins Denken und Fühlen, in den Atem der Zeit vor, während und nach des Ersten Weltkriegs sucht, dem sei das einführende Essay zu diesem Stück empfohlen. So pointiert und zugleich auch klarsichtig, was die Folgen, die da noch in den Nebeln der Zukunft liegen, hat wohl selten jemand über diese Zeit geschrieben …