Besser spät als nie

Das passt im doppelten Sinn – eigentlich wollte ich ja schon vorgestern eine weitere Leseprobe als Appetithappen für die erste Vollmondlesung bzw. die ersten „Kriminellen Bettgeschichten“ ins Blog setzen. Und es passt auch zu Nach seinem Bilde, einem erotisch angehauchten Kurzkrimi aus meiner Feder, in dem es u.a. um Fragen von Raubkunst geht. Volià:

Nach seinem Bilde

Die geschwungene Linie ihres Rückgrats, die den schmalen Nacken mit der steil aufragenden Kuppe ihrer rechten Hüfte verband, erinnerte an eine Dünenformation. Unendliche Hügel, ewige Weite, immer gleich und stets im Wandel – ein Meer aus Sand, in dem man sich verlieren konnte. Er schüttelte den Kopf und stieg endlich auch mit dem rechten Bein in seine Jeans. Dann begann er, vorsichtig den Raum unterm Bett mit dem Fuß abzutasten: Irgendwo mussten seine Stiefel abgeblieben sein! Ein Seufzer von ihr in dem Moment, als er mit dem Zeh an die scharfe Kante des Absatzes stieß, ließ ihn erneut aufblicken: Sie streckte und reckte sich, rollte von der Seite auf den Rücken. Das Bett knarrte leise und aus den Laken stieg der süßlich-scharfe, zugleich leicht moderige Geruch, den ihre beiden Körper dort hinterlassen hatten. Mit einem Mal öffnete sie die Augen und schloss sie sofort wieder, ohne etwas von ihrer Umgebung wahrgenommen zu haben. Wohlig lächelnd rollte sie weiter, bis sie erneut auf der Seite zu liegen kam. Jetzt allerdings wandte sie der Tür und damit auch ihm das Gesicht zu. „Hm“, machte sie. Er lächelte: Im Schlaf beherrschte sie die Kunst des Schnurrens, als sei sie eine verzauberte Katze.
Er kniete sich neben das Bett und zog die Stiefel darunter hervor, wobei er zugleich sein Sweatshirt wiederfand. Ihr Gesicht war nur Zentimeter von dem seinen entfernt, und er musste sich zusammenreißen, nicht ihren Nasenrücken anzuknabbern oder etwas anderes, höchst Unbedachtes zu tun. Stattdessen zog er das Sweatshirt über den Kopf und griff hinter sich nach der Lederjacke. Wo die sich befand, wusste er zu jedem Zeitpunkt, so leidenschaftlich oder rauschhaft, dass er das vergaß, konnte nichts und niemand sein. Er fischte die Socken aus den Cowboystiefeln, streifte beides nacheinander über die Füße und stand auf. „Hm“, machte sie erneut und lächelte im Schlaf. Entgegen der Vernunft beugte er sich runter zu ihr und küsste sie vorsichtig auf die Stirn. Sie schmeckte nach Salz mit einer herben Note, wie ein altes Holzfass, das zum Einsalzen frischer Lebensmittel dient. Eigenartig bei einer jungen Frau, wunderte er sich noch, als er bereits draußen auf der Straße stand. Noch eigenartiger war, dass sie ihn so beschäftigte. Egal. Er hatte viel zu erledigen und kaum mehr Zeit. Schon gar keine Zeit für Zweifel, Wünsche und andere Unmöglichkeiten. Also lief er los, weder das Nebelgrau noch die Passanten darin beachtend. Ob er der Winterkälte oder der gliederschweren Trägheit davonrannte, die dem Flug der Leidenschaft folgte, was änderte das schon?

 

Als Lena erwachte, war es stockduster und sie war allein. Von nebenan drangen Geräusche durch die Wand. Ihre Nachbarn schauten mal wieder eine Vorabendserie. Sie hatte also noch Zeit. Schade, dass er schon gegangen war. Schade? Er?! Hatte sie das wirklich getan? Abrupt setzte sie sich auf und warf dabei das zweite Kopfkissen zu Boden. Sie beugte sich runter, spürte den kalten Luftzug auf ihrer nackten Haut und hob das Kissen auf. Sie presste es an sich, roch Moschus und Rauch, etwas Öliges und Terpentin, und dann gab es keinen Zweifel mehr: Sie hatte mit dem Restaurator, der eigentlich der Assistent eines solchen war, geschlafen! Nun ja, das war auf eine verquere Art logischer, als davon geträumt zu haben. Mit einem Mann zu schlafen, war nichts, wovon Lena träumte.
›Dante‹ hatte er sich genannt. Das passte zu der Arroganz, mit der er tags zuvor aufgetreten war: Sie war beim Hängen der Ausstellung, stand auf der Leiter, hantierte in gefährdeter Position, und doch hatte er darauf bestanden, dass sie ihm die Tür aufhielt, als er mit der Kiste mit den Bildern kam. Dabei waren es nicht mal ›echte Kunstwerke‹, war es ihr entfahren. Er hatte eine Augenbraue gehoben, sie halb amüsiert, halb skeptisch angeschaut und ihr, kurz bevor das Schweigen zu unhöflich geworden wäre, die Rechnung präsentiert: 500 € kostete es, die Blutflecken aus den Bildern von Birte, ihrer begabtesten Patientin, zu entfernen. Ein stolzer Preis, aber es musste sein. Birtes Bruder war der Sponsor der Ausstellung und ihres kunsttherapeutischen Projekts in den chronisch unterfinanzierten Städtischen Kliniken. Und Dante hatte ganze Arbeit geleistet: Die Bilder wirkten, als hätte Birte eben erst ihre Farben in wilder Wut auf die Leinwand geklatscht.
„Erstaunlich“, hatte Lena gesagt.
„Wie Sie“, hatte Dante trocken erwidert.
„Bitte?!“
„Nun, Sie sind Kunsttherapeutin. Und Ausstellungsmacherin. Dass ausgerechnet Sie zwischen ›echter‹ und ›verrückter‹ Kunst unterscheiden, hätte ich nicht gedacht. Kunst ist Kunst, egal, wer oder was sie erschaffen hat.“
So waren sie gestern aneinandergerasselt und Lena hatte gedacht, das wär es gewesen. Eine Begegnung mit diesem Kerl, der ein typischer Vertreter der Spezies ›kleiner, aber gut aussehender Mann kompensiert gefühlten Mangel an Männlichkeit mit Aggression und Arroganz‹ zu sein schien, das reichte ja wohl. Doch er war heute wiedergekommen. Wann er zur vormittäglichen Vernissage gestoßen war, war ihr entgangen. Erst als die Räume sich merklich geleert hatten und sie sicher gewesen war, dass Julian und Judith sie auch diesmal hängen gelassen hatten, hatte sie ihn gesehen: Er hatte ihr mit einem Wasserglas zugeprostet und ihr anschließend seine Hilfe beim Spülen aufgedrängt. Auf die zigste Nachfrage, was das solle, sagte er schließlich: „Ihr Großvater schickt mich.“ Allein das wäre ein Grund gewesen, ihn achtkant rauszuwerfen, und doch waren sie wenige Stunden später in ihrem Bett gelandet.
Und nun saß sie hier, im Dunkel des Winternachmittages, nackt und inzwischen frierend. Verflucht, was hatte der Kerl bloß mit ihr angestellt?! Der stumme Fluch löste ihre Erstarrung. Sie schaltete die Nachttischlampe ein und ging ins Bad. Auf jedem Quadratzentimeter ihrer Haut spürte sie seine Berührungen. Schluss damit, dachte sie und drehte den Wasserhahn in der Dusche auf, erst mal einen klaren Kopf und den fremden Geruch aus der Nase kriegen. Alles Weitere würde sich finden.

[…]

aus: Sterbenslust, hrsg. von Paul Ott, Gmeiner-Verlag. 11,90 €

Wenn Sie jetzt Lust auf mehr haben, lautet die schlechte Nachricht: Die Anthologie ist längst vergriffen. Die gute Nachricht jedoch ist: Ich habe noch Restexemplare, die ich gern auch signiert verschicke.

Anfragen per E-Mail oder Kontakformular einfach an mich schicken, alles weitere klären wir dann.

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