Man wundert sich gelegentlich, was auf dem angeblich ach-so-friedlichen oder zumindest doch oh-so-entlegenen bis idyllischen Land alles passiert. Das Vogtland macht da keine Ausnahme. Letztes Jahr erschien mit Gauner, Geigen, Griegeniffte eine ausgesprochen kriminelle Anthologie, in der ich mich u.a. mit Schornsteinfegerinnen und mafiösen Strukturen befasste. Voilà – hier kommt die Leseprobe dazu:
Kneipensterben
von Mischa Bach
„Wegen unerwarteter Vorkommnisse heute geschlossen“, stand in krakeliger Handschrift auf dem Pappschild am Eingang des Postkellers am Markt. Doch Jenny ist keine, die leicht aufgibt. Sie rüttelte an der Tür – erwartungsgemäß vergebens:
„Aber heute früh war doch noch auf und wie immer, bis auf…“ Sie wandte sich zu uns um. Ich zuckte pro forma mit den Achseln und fror still vor mich hin. Der erste Frost war in diesem Jahr überraschend früh über das Vogtland hereingebrochen. Warum hatte ich mich nicht wärmer angezogen. Das konnte dauern, bis wir in einer der anderen Gaststätten, die wir reihum donnerstags mit unserem Mädelsabend beehrten, Zuflucht finden würden.
„Bis auf was?“, nahm Katrin Jennys Faden auf. Sie ist sehr genau. Typisch Buchhalterin eben.
„Na bis auf die Herren im Anzug!“, sagte Jenny. „Die sahen gar nicht wie Lieferanten aus!“ Sie musste das wissen. Sie arbeitete mit ihrer Gebäudereinigung überwiegend bei Reichenbachs Gastronomiebetrieben. Das hatte sie schon getan, als meine Eltern noch die Ratsstube hatten. Jenny ist zwar nur zwei Jahre älter als ich und damit derselbe Jahrgang wie Katrin, aber sie hat die Schule ohne Abschluss verlassen und dann die Gebäudereinigung ihres Freundes übernommen, als der in den Knast musste. Sie mochte im Kopf nicht die schnellste sein, aber mit dem Putzlappen war sie so fix wie gründlich.
„Was für Lieferanten?“
„Das weiß ich doch nicht. So Kerle mit Laptops und bunten Klappkisten.“
„Was wollten die damit?“
„Keine Ahnung. Ich hab den Kühlraum inspiziert und erst bemerkt, dass etwas nicht stimmt, als Gerd plötzlich hinter mir stand und meinte, danke Jenny, das langt für heute, ich ruf dich an wegen morgen.“
„Und dann?“ Katrin stampfte vor Kälte von einem Fuß auf den anderen.
„Nichts war dann. Ich habe Gerd quittieren lassen, meine Sachen genommen und bin gegangen. Die Herren haben die ganze Zeit geschwiegen. Das war richtig unheimlich. Fast wie bei der Mafia.“
„Jetzt fang du nicht auch noch mit der Mafia an“, warf Katrin ein. Sie mochte die Mafiathese nicht, die diverse Mitbürger hinter vorgehaltener Hand äußerten, wenn es um das mysteriöse Werden und Vergehen von Gaststätten und Kneipen in unserer kleinen vogtländischen Stadt ging. Die Pleite der Ratsstube, die unsere Familie trotz aller Anstrengungen nicht hatte verhindern können, war nur Teil von etwas größerem gewesen, so schien es nicht nur mir. Die Chinesen-Schwemme war verebbt, mehrere Griechen waren gescheitert. Lange Zeit hatte ich mit dem speziellen Schicksal unseres Familienunternehmens gehadert. Bis zu einem gewissen Punkt … Moment, was war das für ein Lichtschein dahinten ums Eck? Neugierig näherte ich mich dem Fenster auf der Hofseite bei den Mülltonnen und spähte hinein. Drinnen stritt Gerd mit seiner Frau Rosa. Oder vielmehr, sie stritt, während er zu beschwichtigen suchte.
„Das war reine Routine, haben die gesagt. Ist doch klar, in der Finanzkrise schauen alle genauer hin und erst recht das Finanzamt.“
„Das glaube ich nicht. Da hat uns jemand angeschwärzt. Sicher diese Schlampe, die die Bücher macht!“
Was ein Glück, dass Katrin das nicht gehört hatte. Sie würde nie einen Klienten anschwärzen. Aber nur weil in ihren Büchern alle Zahlen stimmten, musste das doch nicht heißen, dass die Belege, die ihr die Auftraggeber dafür präsentiert hatten, allesamt in Ordnung waren, oder? Gerd fuhr einen dicken Audi, Rosa hatte sich kürzlich die Brust straffen lassen. Sowas hätten sich meine Eltern nie leisten können, als sie noch die Ratsstube hatten. Wir hatten höchstens mal eine Aushilfe an Feiertagen. Rosa dagegen verschliss die Kellner – Kellnerinnen kamen ihr nicht ins Haus – wie die ihre Socken.
„Na dann war es eben die Putze, die dir stets mit ihrem Riesenarsch vor der Nase rumwackelt!“, wütete drinnen Rosa weiter.
„Rosa – bitte …! Willst du wieder selber putzen? Soll ich mir bei den Büchern einen abbrechen? Überleg doch, wer außer Katrin und Jenny würde diese Arbeiten schon so gut und günstig erledigen?“
„Ganz genau das meine ich: Es muss doch einen Grund haben, warum die das machen. Was hast du denen versprochen? Was ist der Deal? Sag, sag schon –“
„Rosa – hör auf damit. Gleich fängst du wieder davon an, dass uns Lisa den Erfolg nicht gönnt, weil ihre Familie kein Glück und ihr Vater –-“
„Sag mal, lauschst du da?“ Katrins Stimme ließ mich herumfahren wie ein ertapptes Schulmädchen.
„Hatschi“, entfuhr es mir. Das passiert mir immer, wenn sie Rush von Gucci etwas zu großzügig aufgelegt hatte. „Alles gut.“
Katrin neigte den Kopf zur Seite und sah mich prüfend an. Ich trat vom Fenster zurück. „Okay – es war nicht die Mafia, sondern das Finanzamt. Der Rest ist der übliche Ehekrach. Zufrieden?“
Katrin nickte. „Komm schon. Jenny hat im Zungenschlag angerufen. Die haben tatsächlich noch einen Tisch für uns frei.“ […]
aus: Kneipensterben, in: „Gauner, Geigen, Griegeniffte„, hrsg.v. Petra Steps, Kbv 2013.